Das Elixier seiner Augen floß ihr durch Mark und Bein. In jede Zelle ihres Körpers und zurück in jede Erinnerung ihrer Seele an vergangene, gemeinsame Zeiten.
Liebessüchtig wurde sie, süchtig danach ihn anzusehen, ihn zu verstehen, ihn zu ergänzen.
Dabei wollte sie nur lieben, mit jeder Faser ihres Seins.
Sie vergass, dass er Freiheit und Raum brauchte um zu wachsen.
Dass er seine Schuhe selbst einlaufen musste und sie es nicht für ihn tun konnte, es hätte auch seltsam ausgesehen.
Im Aufwachen war er ihr erster Gedanken und nicht nur im Schlaf träumte sie stetig und fast ausschließlich von ihm.
Sie schloss sich, ohne es zu wissen, einem großen Energiefeld an in das viele Menschen, vor allem Frauen, täglich ihre schweren Mantras trugen.
Ein Mantra lautete „ich muss ihn retten, was auch immer es kosten mag“, ein anderes „ich muss mich anstrengen, um geliebt zu werden“. Doch war das lange nicht alles, das Repertoire an Sprüchen, Gedanken und Liedern war so groß, dass es sich dreimal um den Erdball schlingen konnte.
So sangen sie, oft in klagender Weise über die Sehnsucht nach Geborgenheit und männlicher Stärke, um im gleichen Atemzug dem Mann jede Chance auf Eigeninitiative zu entziehen.
Die Gruppe der Männer, die dem schweren und über die Jahrzehnte immer lauter werdenden Gesang nicht ausweichen konnte, zog sich still und leise zurück; Milimeter für Milimeter machten sie Rückschritte oder schlichen auf Zehenspitzen an den verzweifelten Frauen vorbei.
Sie wussten sich keinen Rat und so schwiegen sie.
Für große Worte braucht es auch große Taten, aber danach war ihnen nicht.
Und so besangen die liebessüchtigen Frauen das Universum, Sonne und Mond, den Tag und die Nacht und bei jeder sich nur bietenden Gelegenheit den Mann, dem sie ihr Herz geschenkt hatten.
Zur gleichen Zeit nahmen die Männer die Herzen an sich, der eine recht und der andere eher schlecht.
Sie kamen kaum darum herum, denn die Herzen wurden mit Sonderexpress & Glückwunschkarten zugestellt, am Gartenzaun festgebunden oder gar über den Schornstein in ihr Haus geschoben.
Der eine verwahrte es still, aber sorgsam – er wusste, es wird der Tag kommen, an dem ihre Herzen im Gleichklang schlagen konnten.
Der andere stellte es auf ein Regal, und sah es mit stolzgeschwollener Brust als Leistungstrophäe an, ohne jeden weiteren emotionalen Wert.
Der nächste war damit überfordert und wies das Herz schnell von sich um so weit zu rennen, als er nur konnte.
Manchmal taten sie auch erst das Eine und dann das Andere.
So sangen die Frauen und kämpften einen Kampf, der sie unendlich müde machte.
Bis zu dem Tag, an dem das Leben ein Einsehen hatte und beschloss, für Erleichterung zu sorgen.
Wie mit einem gewaltigen Windstoß schüttelte es Männlein wie Weiblein durcheinander und nichts war mehr wie zuvor.
Es nahm den Frauen all ihre Klageschriften und schenkte ihnen Freiheit.
Freiheit von den alten und gebetsmühlenartig heruntergeleierten Texten.
Freiheit von der Traurigkeit des sich Verlassen-fühlens.
Freiheit von der Angst, nicht gut genug zu sein.
Freiheit von dem Drang, sich für den Liebsten aufzureiben.
Freiheit von dem Kampf um Anerkennung.
Freiheit von der Besessenheit, einen Lieblingsmenschen im tiefsten Kern zu ändern.
Freiheit, um sich selbst zu lieben.
Freiheit, um das große Ganze zu erkennen.
Freiheit, wieder vollkommen bei sich zu sein
Freiheit, die Leichtigkeit zum Freund hat
Freiheit, sich selbst zu verwirklichen
Freiheit, Ohnmacht gegen Eigenverantwortung zu tauschen
Freiheit, das Herz ganz weit zu öffnen für die Stimme der Seele
Während die Frauen noch staunten, was ihnen so aus den Händen genommen und gleichzeitig auch unerwartet gegeben wurde, erwachten durch die große Wellenbewegung auch die Männer, einige plumpsten dabei von ihren Sofas.
Sie spürten, jetzt ist es an der Zeit, sich zu bewegen und Führung zu übernehmen.
Sie wussten, es gab nun keine Ausreden mehr. Sie konnten sich nicht länger verstecken. Auch die Bequemlichkeit wurde nicht mehr belohnt, die viele Jahre so praktisch war.
Sie nahmen die ihnen anvertrauten Herzen in ihre Hände und atmeten gemeinsam tief durch.
Es war an der Zeit, jedes einzelne davon zu überprüfen!
Der Mann, der nur darauf wartete, endlich Mann sein zu dürfen, gab es mit einem wissenden Lächeln seiner Liebsten und zeigte ihr ohne Umschweife und ehrlich wie nie sein eigenes, liebendes Herz.
Der Trophäensammler gab sie kleinlaut an all die Frauen zurück, die er nie ernst nahm oder gar respektlos behandelte und erkannte, dass er so viel mehr war, als all die Äußerlichkeiten, mit denen er sich bisher schmückte.
Der Überforderte hatte kein Herz, das er zurückgeben konnte, da er niemals eines an sich heranlies. Das stimmte ihn nachdenklich und er begann erste zarte Schritte der Kommunikation, wann immer er Augen begegnete, die für ihn strahlten.
Und so übten sie von nun an, neu zu lieben, als…
Liebende Menschen, die sich ihre Herzen schenken können, wann immer sie es für gut befinden.
Liebende Menschen, die das geliebte Gegenüber staunend betrachten, weil es ein einziges Wunder ist.
Liebende Menschen, die ohne zu leiden lieben, wenn der andere die Liebe noch nicht greifen kann.
Liebende Menschen, die sich gegenseitig Freiheiten schenken ohne einen Gegenwert zu erwarten
Liebende Menschen, die auch in der Zeit mit sich selbst ihr Glück verdoppeln
Liebende Menschen, die um ihre Stärken wie auch Schwächen wissen und beginnen, sich zu ergänzen
Liebende Menschen, die sich aneinander anlehnen statt aneinander zu ziehen, um neue Kraft zu tanken
Liebende Menschen, die die Sucht nach Liebe hinter sich lassen, um gemeinsam zu wachsen
Liebende Menschen, die täglich miteinander herausfinden, ob ihre Richtung (noch) die Gleiche ist
Liebende Menschen, die beginnen, ein viel größeres Energiefeld zu erschaffen, das es bisher nur in vielen Träumen gab…
~Rebekka Gutmayer~
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