Weil ein Kirschbaum keine Pampers braucht

Weil ein Kirschbaum keine Pampers braucht

Sie sah aus dem Küchenfenster und ließ ihren Gedanken freien Raum.
Sie musste lachen bei der Vorstellung, wie sie sich früher zum Horst gemacht hat, wenn sie etwas verstehen wollte.
Sie hing sich an die Lippen des geliebten Mannes, begutachtete aufmerksam jede seiner Bewegungen und hätte, wenn es möglich gewesen wäre, seine Worte in einem Schmetterlingsnetz eingefangen.
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Mit der Beute wäre sie an ein Ufer gelaufen und hätte sie dort alle einzeln ausgebreitet, um zu versuchen, sie in einer verständlichen Reihenfolge wieder zusammenzusetzen.
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Dabei war es eigentlich nicht so schwer, ihn zu verstehen. Sie musste nur richtig zuhören. Aufhören, zu interpretieren.
Fühlen, was er sagt, auch wenn er nichts sagt. Ihn einfach nur sein lassen. Ihm Raum geben.
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Und doch, die Falle schnappte immer wieder zu, sie wollte mehr aus ihm herausholen, als er bereit war zu geben. Und sie schüttelte ihn immer wieder voller Verzweiflung, in der Hoffnung auf Antworten.

In der Hoffnung auf Liebesbeweise. In der Hoffnung auf Aufmerksamkeit.

Ihr Leben drehte sich nur um ihn, was er tut oder nicht tut, was er denkt oder nicht denkt, was er vorhat, wie es ihm geht, ob er auch genug atmet, schläft und isst, ob er auch wirklich nur an sie denkt.

Im Blick zurück sieht sie, wie sie ihre eigene Präsenz verlassen hatte und die meiste Energie in das „Liebes-Fernrohr“ steckte, immer ausgerichtet auf den Menschen, der so viel Sehnsucht auslöste.
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Sehnsucht nach Geborgenheit, nach Nähe, nach Liebe – ihr inneres Kind klammerte sich an jede Nachricht von ihm und egal wie vollpfostig er sich verhielt, lieber so wie gar keine Zuwendung.
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Es gab aber den einen Tag, an dem das Maß voll war. Ihre Seele weinte, die unsichtbaren Tränen verwandelten sich in sichtbare und ihr wurde schlagartig ihre Abhängigkeit bewusst. Jeden seiner Schritte voraussagen zu wollen, jeden kleinen Liebesfunken erhaschen – nein, das musste ein Ende haben.
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Sie musste aussteigen aus der Bettleritis um Männeraufmerksamkeit, und auch dem von Frauen vielbejubelten Bus mit der Leuchtschrift „Zielstation Männer-Rettung“, musste sie aus dem Weg gehen. Am besten ließ sie die Luft aus den Reifen.
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Und schon sah sie in ihrer Vorstellung viel enttäuschte Frauengesichter, die doch voller Elan mit Schürze, Nudelholz und Handwerkskoffer losziehen wollten, um den Jungs wieder zu zeigen, wie das mit der Liebe wirklich geht.
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Doch es war genug. Sie warf die imaginäre Fahrkarte weg, und überhaupt alles, was sie noch weiter in Versuchung bringen könnte, sich wieder von sich selbst zu entfernen. Sie ließ sich nun endlich helfen, denn ihre Seele sehnte sich so sehr nach Veränderung.
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Und so beschloss sie, als ersten Schritt ein Zeichen zu setzen, das sie nie wieder übersehen konnte.
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Eine Botschaft an sich selbst zierte nun ihren linken Unterarm, in geschwungener Schrift und schwarzer Farbe war sie ihr täglich vor Augen – und flüsterte ihr sanft zu:
„Ich erinnere dich daran, dass du zu jeder Zeit liebenswert bist.
Daran, dass deine Daseins-Berechtigung nicht von einem anderen Menschen abhängt.
Daran, dass du es verdient hast, glücklich zu sein, es ist dein Geburtsrecht.
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Jetzt beginnt ein Abschnitt, in dem du nicht alleine sein wirst, aber sehr wohl sehr gut alleine sein kannst.
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Du bist wie ein Kirschbaum, der auch nach größtem Sturm und Hagel keinen Mangel kennt und all seine Energie in das Wachstum der neuen Knospen steckt.
Wie ein Kirschbaum, der seine Narben nicht fassungslos anstarrt, sondern seine Kräfte einfach an ihnen vorbeilenkt.
Ein Kirschbaum, der sich seine Lebendigkeit zurückholt, ohne lange zu überlegen.
Ein Kirschbaum, der seine Blüten fallen lässt, wenn es Zeit wird, den saftigen Kirschen Platz zu machen.
Ein Kirschbaum, der nie an seiner Schönheit oder der Schönheit der anderen Bäume zweifelt.
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Die Pampers, die du immer wieder aus Angst vor Enttäuschung anhattest, kannst du bald entsorgen.
Die Pampers der Männer sind nicht mehr deine Baustelle.
Alles ist göttlich, sogar die Pampers.
Obwohl Kirschbäume gar keine brauchen.
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NOTHING ELSE MATTERS.“

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Sie drehte sich lächelnd vom Küchenfenster weg und wandte sich ihrem neuen Leben zu…
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~Rebekka Gutmayer~

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Die Sache mit der Selbstliebe…

Die Sache mit der Selbstliebe…

Wie oft hast du schon gelesen, dass du dich erst selbst lieben musst, damit dich ein anderer wirklich lieben kann?

Ich halte das nach wie vor für einen ziemlichen Blödsinn, es gibt Menschen, die lieben uns tatsächlich genau so wie wir sind, Punkt. Sie sind selten, doch es gibt sie.

Aber es gibt ein Aber.

Als ich klein war, merkte ich schnell, dass ich so wie ich bin nicht unbedingt geschätzt werde. Ich war zu neugierig, zu laut, zu wissbegierig, zu fröhlich.

Das war für den ein oder anderen Erwachsenen um mich herum schwer erträglich. Also blieben Einschränkungen, Druck, angsteinflößende Aussagen und Schuldzuweisungen nicht aus, auch weil man sich nicht anders zu helfen wusste mit diesem quirligen Kind.

Die Lebensumstände sind sicher sehr verschieden, aber das was mit einer Kinderseele geschieht, wenn sie unterdrückt oder mißbraucht wird, eher nicht.

Ich wurde mit der Zeit immer stiller und zurückgezogener, um niemandem mehr auf den Schlips zu treten, schließlich war ich wie jedes andere Kind auch abhängig von „den Großen“. Ich konnte nicht einfach in die große, weite Welt stiefeln und mein Essen, meine Kleidung selbst besorgen. Ich hab mir einfach gewünscht, geliebt zu werden.

„Frag deine Mutter!“ waren die Worte meines Vaters. „Nein!“ das Lieblingswort meiner Mutter, egal wie die Frage lautete.

Was tut also ein Kind, das ganz normale Bedürfnisse hat, die aber nicht so einfach und schon gar nicht ohne Bedingungen erfüllt werden?

Eben höre ich es von Susanne Hühn :“Es flüchtet, geht in den Angriff oder erstarrt.“ So gewöhnte auch ich mir an, nur noch zu antworten, wenn ich gefragt wurde, denn jeder andere Versuch mich mitzuteilen wurde schnell im Keim erstickt. Aber mit Aufforderung gab es ja eine offensichtliche Berechtigung, etwas zur Situation beizutragen (falls es dann doch zu viel war, wurde mein Redefluss einfach wieder gestoppt).

Ansonsten gab es diese Berechtigung nicht und ich flüchtete mich zu Pferden, Hasen, Katzen, Schafen, Meerschweinchen und meiner Gans Günther, die nie auf die Idee kamen, mir zu zeigen, wie ich sein sollte, sie verurteilten und bewerteten mich nicht. Hier war ich fast glücklich. Fast, weil das ein oder andere mir zuvor geschenkte Lieblingstier ohne echte Notwendigkeit in die Nahrungsmittelkette wanderte. Stichwort Gänsebraten.

An manchen Tagen konnte ich den Schalk im Nacken aber nicht unterdrücken und versuchte, zur Erheiterung der Familie beizutragen. Ich brachte z.B. Senf unter den Türklinken an, in den die ahnungslosen Eltern greifen sollten – und hoffte auf den ein oder anderen Lacher. Dabei vergass ich meine Streiche dann oft und fasste selbst hinein, so dass ich dieses Vorhaben mehrmals wiederholte, bis es zum Ziel führte. Aber mit der gewünschten Erheiterung blieb ich trotzdem alleine, der Spaß war sehr einseitig.

Dies war also nicht der Ort für Fröhlichkeit und Lebensfreude, und die für mich nach der vierten Klasse ausgesuchte Schule war es leider auch nicht. In der Berufsschule spielte ich manchmal den Klassenclown, was so manchen Lehrer zur Verzweiflung brachte. Das gab natürlich wieder Ärger zuhause, aber immerhin konnte ich mir ein bisschen Luft machen, wo ich an anderer Stelle die Unterdrückung dulden musste.

Mein Vater war die meiste Zeit abwesend und meine Mutter damit beschäftigt, aus mir ein wohlerzogenes, hauswirtschaftlich begabtes und religiöses Kind zu formen. Ersteres klappte noch relativ gut, zweiteres schon weniger und das dritte ging ziemlich an ihren Vorstellungen vorbei. Ich war nicht sonderlich begeistert von den zahlreichen Verboten, die ihr Glaube so mit sich brachte. Sie fand darin Halt, aber für mich war das nix.

Das Kind in uns handelt und fühlt noch genau wie damals, wenn wir ihm keine oder zu wenig Aufmerksamkeit schenken. Es laufen Programme ab, die uns nicht bewusst sind – und dann fragst du dich, wieso du immer wieder an Menschen gerätst, die dich immer wieder ignorieren oder erst gar nicht sehen. 

Oder an welche, die sehr gerne den Zeigefinger heben und dir erklären, was du schon wieder alles falsch gemacht hast. Oder an solche, die so tun, als wären sie an dir interessiert und dich dann fallen lassen wie eine heiße Kartoffel. Oder an Menschen, die sich selbst am Nächsten sind. Oder ihre Liebe mit unterschwelligen Forderungen verbinden. Oder an die, die dich glaubhaft daran erinnern, dass du schnell wieder verlassen wirst, wenn du dich nicht an ihre Vorstellungen anpasst. Oder an Bekannte mit einem gut aufgeklebten Heiligenschein, die gerne ein schlechtes Gewissen machen. Oder an jene, die Versprechungen geben, sie aber nie einhalten.

An Seelenpartner, die flüchtig sind, wenn´s zu eng wird und dir den Vater aufs Parkett holen, auf den du unbewusst noch immer wartest. An Vermieter, die sich einfach nicht kümmern oder das Gegenteil, jeden Tag kontrollierend auf der Matte stehen. An Chefs, die nicht mit sich reden oder keine andere Meinung gelten lassen. An Kunden, die die Wertschätzung für deine Arbeit vergessen. An Bekannte, bei denen du dich schwer abgrenzen kannst. An Männer, denen der Arsch in der Hose fehlt. An Freunde, die plötzlich keine mehr sind, wenn du sie wirklich brauchst oder an Arbeitskollegen, die dich ausgrenzen oder ausnutzen. An Frauen, die dir die Härte, Verachtung oder Ablehnung zeigen, die du schon von deiner Mutter kennst. An Schwiegermütter, die dir dein Wohnzimmer ungefragt umgestalten, während du in Urlaub bist.

Die Liste kann sicher noch ordentlich erweitert werden.

Wenn deine seelische Identität als Kind verschluckt wird, wunderst du dich an der ein oder anderen Stelle verblüfft, warum die Dinge laufen, wie sie laufen.

In der Mediathek der ARD gibt es einen Film, der im Ansatz zeigt, was in einer Familie passieren kann, wenn Schuld, Scham & Verblendung eine große Rolle spielen:

„So auf Erden“ – sehr berührend (leider aktuell nicht verfügbar)

Zuckerbrot und Peitsche. Erfolg und Scheitern. Liebe und Angst. Freundschaft und Verrat. Vitalität und Krankheit. Lebensfreude und Abhängigkeit. Sie geben sich dann die Klinke in die Hand und begrüßen sich voller Vertrautheit, dass man nur staunen kann.

Wie soll es also funktionieren mit der Selbstliebe, wenn unsere Idee von uns und vom Leben, von der Liebe, „lustig“ mit (Selbst)Sabotage-Programmen besetzt ist?

Der Weg führt über das innere Kind, immer und immer wieder…

Es geht mir nicht darum, die Schuld an unsere Erziehungsberechtigten oder an die Menschen, denen wir begegnen zu verteilen. Es geht mir darum, dir zu sagen, dass du wundervoll und einzigartig bist, egal wer dir jemals versucht hat, etwas anderes einzureden (und es vielleicht auch noch geschafft hat).

Du hast ein Recht darauf, du selbst zu sein. Nur manchmal sind wir gar nicht wir selbst und bemerken es einfach nicht. Aber das Leben ist zum Glück schlau und zeigt uns konsequent, wo wir auf dem Schlauch stehen und noch immer darauf warten, dass sich das Äußere verwandelt, obwohl wir im Inneren noch ganz schön unglücklich sind und damit immer wieder den gleichen oder zumindest ähnlichen Mist anziehen.

Die gute Nachricht ist, wir können das Innere verändern. Wir können dem Kind in uns Aufmerksamkeit schenken, die es so lange vermisste. Wir können ihm zuhören, wo niemand Ohren für seine Bedürfnisse hatte. Wir können ihm das Spiel zurückholen, das ihm früher verboten wurde. Wir können es befreien und lebendig werden lassen, wo es sich selbst in Starre geflüchtet hat. Wir können ihm zeigen, dass das Leben lebenswert ist, wo es an sich und seiner Berechtigung dafür (noch) zweifelt.

Wir können ihm Liebe geben, die voller Mitgefühl und ohne Bedingungen ist.

Dann klappt das auch mit dem Nachbarn. Und immer besser mit der Selbstliebe.

Buchtipps:

Was würde die Liebe jetzt tun – von Christa Heidecke

Aber vergiss nicht, Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut. Kommt Zeit, kommt das innere Kind aus seinem Versteck und atmet das Leben wieder tief in sich ein. Das Vertrauen dafür darf wachsen und Druck kann es nicht mehr brauchen.

Der ist eine Bremse. Und Spaßbremsen mag es sowieso nicht, auch wenn es jetzt nicht mehr unbedingt der Senf unter der Türklinke sein muss 😉

Wie immer: nimm dir, was du brauchen kannst. Alles andere lass einfach stehen.

~Rebekka Gutmayer~

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