Sanft strich er mit seinen warmen Fingern über ihren Rücken.
Sie weinte, und für ihn war es, als würde mit jeder Träne eine kleine, schillernde Welt zusammenbrechen.
Und noch eine…und wieder…er wusste nicht, was gerade in ihr vorging.
Aber er wusste, dass er sie liebte.
Und er wusste, dass es manchmal gar keiner Worte bedarf.
Manchmal ist es die echte Nähe, die heilt.
Das echte Zuhören, das echte anwesend sein.
Und das war er. Schon über 30 Jahre war er an ihrer Seite.
Hin und wieder dachte er, dass er sie kannte, also so wirklich. Wie eine Stadt, in der man jeden kleinsten Winkel kennt, weil man in ihr schon so oft spazieren oder unterwegs war.
Aber sie war keine dieser Städte, die man wirklich kennen konnte. Sie war eine wandelnde Überraschung auf zwei Beinen.
Als Kinder fuhren sie gemeinsam mit dem Bus zur Schule. Dann gingen sie in verschiedene Klassen und das war schon komisch, denn sie trennten sich nicht sehr gerne. So hofften sie oft, dass der Unterricht schneller vorbei ginge und sie einander wieder sehen konnten. Sobald die große Glocke läutete, rannten sie nach draußen und waren ziemlich erleichtert, dass sie einander wieder hatten.
Ein Leben ohne den anderen konnten sie sich nicht vorstellen. Keiner von ihnen.
Es war so viel passiert in all den Jahren, das schweißte natürlich auch zusammen.
Doch heute war wieder einer dieser Tage, wo er einfach nicht das passende Medikament hatte, so kam es ihm vor.
Diese Trauer in ihr, er konnte sie fast förmlich selbst in seinem Körper spüren.
Was war denn nur geschehen?
Sie schluchzte immer weiter und verbog sich in eine Embryohaltung hinein.
Es tat ihr so weh, so ganz tief innendrin.
„Engelchen, bist du sicher, dass ich nichts tun kann?“ fragte er.
„Du kannst meinen Körper nicht schöner machen! Sieh ihn dir doch an! Es wird nicht mehr lange dauern, dann sieht meine Haut aus wie eine blasse Wüstenlandschaft, noch nichtmal mit Kamelen drin! Jede Blume dort wird welken und das Wasser zieht freiwillig, mit einem freundlichen aber ängstlichen Gruss, schnell an ihr vorbei! Ich werde immer weniger! Ich werde immer kleiner!
Ich werde eine Königin, aber eine Königin der Falten und Runzeln!
Und das bedeutet, es ist nicht mehr lange hin, dass ich dich verlassen muss!
Wer weiß, wo ich dann lande? Auf einem anderen Planeten? Einer anderen Dimension? So gar nichts von allem und es hat einfach nur ein Ende?“ Weitere Tropfen kullerten ihr von den Wangen.
Sie hatte sich wieder aufgesetzt und er strich ihr sanft übers Gesicht.
Das also war es. Sie hatte Angst vor ihrem Alter, vor ihrer Reife, vor dem Prozess der Weisheit.
Dabei war sie wunderschön, er liebte jede einzelne Stelle ihres Körpers.
Mit Narbe, ohne Narbe, von der Sonne gefärbt oder blass.
Er küsste mitfühlend ihre Stirn und lud sie ein, den Kopf an seine Brust zu legen.
Sie seufzte tief.
„Es ist doch so, Engelchen“, sagte er, „dass wir uns immer wieder finden werden.
Hier oder dort, hüben oder drüben.
Du und ich, das ist wie Himmel und Erde, wie Mond und die Sterne, wie Tag und wie Nacht.
Unser Körper ist nur die Hülle von etwas, das viel größer ist!
Es ist wie die Sache bei einer großen Auktion von einem wertvollen Bild!
Dein Körper ist die Decke, mit der das Bild zuerst verhüllt wird. Die macht es spannend.
Aber darunter ist der wahre Schatz, den du in all den Jahren fleißig belebt hast.
Da ist deine Seele, die den Körper bewohnt. Ohne sie wäre der Körper ja gar nichts.
Sie ist für mich wie ein großer Stern, der schönste, den ich je gesehen habe.
Du berührst mich jeden Tag im Herzen, wie es sonst niemand vermag.
Nur du kannst mich so einzigartig trösten oder zum lachen bringen.
Du weißt, ich bin manchmal auch ein alter Griesgram, aber dein Licht macht meine Seele hell.
Unermüdlich reichen sie sich die Seelenhände, wenn es denn so etwas gibt.
Und glauben an sich und die Zukunft.
Denn sie finden sich, immer wieder, ganz egal was geschieht!
Auch wenn manchmal Jahre oder sogar Jahrzehnte zwischen unseren Begegnungen lagen.
Das hatten wir schon so oft und dafür haben wir uns entschieden.
Vielleicht kannst du dich ein klitzekleines bisschen daran erinnern?“
Sie atmete tief durch und der Strom an Tränen ließ nun endlich nach.
Sie fühlte sich so im Innersten erschüttert mit all ihren Gedanken an das Altern und die Möglichkeit vom Verlust eines geliebten Menschen.
Doch bei ihm wurde sie schnell wieder klar. Alles Drama dieser Welt war an seiner Seite so viel leichter.
Sie konnte ihre Dankbarkeit darüber kaum in Worte fassen.
„Ja, das weiß ich doch. Und es ist trotzdem so gut, das du mich daran erinnerst.
Du bist mein Seelenkeks.“
Sie lachte und er war hörbar erleichtert.
Kekse waren ihre Leidenschaft und dieser Mann war ein unfassbarer Lottogewinn.
Einer von der Sorte, wo man sich jeden Tag irgendwo hinkneifen musste, ob das auch tatsächlich alles echt sein konnte.
Manche Menschen wollten ihr dieser Verbindung auch nicht so recht gönnen und schon gar nicht daran glauben, dass das nicht gespielt ist, sondern von vorne bis hinten einfach nur Liebe. Aber die hatten auch keine Vorstellung von den anderen Leben, die sie bereits gemeinsam hinter sich hatten. Da waren ganz andere Turbulenzen dabei, da würde sich keiner von diesen Menschen darum streiten wollen.
Die hatten sie dieses Mal nicht ausgewählt, sie wollten es lieber mal etwas gemütlich. Und das war auch gut so.
Es wurde trotzdem jetzt Zeit, wieder die Wahrheit zu sehen und all das Gute, das sie auch heute wieder erleben durfte.
Sie blickte in den Himmel und segnete gedanklich auch diesen Tag, der ihre Seele wieder ein Stück reicher machte.
Sie segnete ihren Körper und all die Dienste, die er ihr bisher so treu leistete.
Und sie segnete sich selbst und natürlich ihren treuen und so loyalen Begleiter.
„Es gibt immer einen Grund, wieder aufzustehen.
Manchmal auch dann, wenn ich ihn noch gar nicht kenne.
Jeder Tag ist wie eine neue, weiße Fläche in dem schon bestehenden Bild.
Dann will ich heute was Schönes daraus machen und Farbe hinein bringen!“
dachte sie und griff nach seiner Menschhand.
Er spürte, sie war wieder bei sich.
Manchmal sind es ein paar Worte zur richtigen Zeit.
Manchmal ist es eine zarte Berührung, ein verständnisvoller Blick.
Manchmal ist es die starke Schulter, die gar nicht so viele Muskeln braucht, wie alle immer denken.
Manchmal ist es einfach nur die pure Liebe ohne alles.
„Und das ist ganz schön viel“, dachte er.
Und lies auch seine Sorgen von gerade eben wieder ziehen.
„Heute ist ein guter Tag, um glücklich zu sein!“ sagte er und zog sie von der Couch…
~Rebekka Gutmayer~
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