Krissy und das goldene Herz

Krissy und das goldene Herz

Krissy reiste gerne und viel. Schon in ihrer Kindheit war sie ziemlich aufgeregt am Tag vor Urlaubsbeginn. Sie zappelte die halbe Nacht unter ihrer Bettdecke hin und her und fragte sich, was es diesmal wohl zu entdecken gab. Es lies ihr kaum Ruhe und in ihrer Phantasie erlebte sie schon vorab die größten Abenteuer.

Sie träumte von irischen Kobolden, die Verkehrskontrollen an der Autobahn durchführten und von Schafen, die Ballett tanzten, sobald sie auf einen Menschen trafen. Nur bei ihrem Schäfer, da machten sie sich längst nicht mehr die Mühe, denn der war sowieso ständig in Gedanken versunken.

Gesamtes Kapitel 1 lesen

Krissy reiste gerne und viel. Schon in ihrer Kindheit war sie ziemlich aufgeregt am Tag vor Urlaubsbeginn. Sie zappelte die halbe Nacht unter ihrer Bettdecke hin und her und fragte sich, was es diesmal wohl zu entdecken gab. Es lies ihr kaum Ruhe und in ihrer Phantasie erlebte sie schon vorab die größten Abenteuer.

Sie träumte von irischen Kobolden, die Verkehrskontrollen an der Autobahn durchführten und von Schafen, die Ballett tanzten, sobald sie auf einen Menschen trafen. Nur bei ihrem Schäfer, da machten sie sich längst nicht mehr die Mühe, denn der war sowieso ständig in Gedanken versunken.

Und von großen, sprechenden Seekühen, die Touristen tagsüber von einem Ufer zum anderen brachten, immer zur vollen Stunde. Was genau das für ein Land sein sollte, war Julia nicht klar. Aber die Seekühe kamen ihr schon ziemlich echt vor.

Es tauchte in ihren Träumen auch manchmal ein Engel auf, der mit ihr sprach. Ein bisschen lustig sah er aus, nicht wegen der großen Flügel, das kennt man ja schließlich schon. Eher wegen der Tasche, die er immer bei sich trug.

Ein bisschen erinnerte er sie an den Schulrektor Herr Albers, wie er morgens mit konzentrierter Miene und seiner heiligen Ledertasche die Schule betrat.
Niemals ließ er sie aus den Augen, auch dann nicht, wenn er die Waschräume aufsuchte. Als ob er Edelsteine mit sich herumtragen würde.

Regelmäßig gab es neue Gerüchte, was es wohl nur sein könnte, das er so hütete wie eine Gans ihre Gänsekinder. „Ob man das wohl jemals herausfinden wird?“ fragte sich auch Krissy. Aber da der Rektor bald in Rente gehen würde, war das eher unwahrscheinlich.

Und jetzt dieser Engel, der im Unterschied zum Schulleiter die Tasche nicht fest und fast schon verkrampft unter seinen Arm presste, sondern eher locker umhängen hatte. Man könnte glatt meinen, dass er auch Zeugnisse mit sich führt.

Oder selbst zur Schule geht, gibt es denn sowas für Engel? Kluge Sachen schien er zu sagen, aber an die genauen Worte konnte sie sich meistens nicht mehr erinnern, wenn sie morgens aufwachte. Sie war sich immer noch nicht ganz sicher, ob er nuschelte oder ob sie einfach so vergesslich war.

In der Realität sah sowieso alles ganz anders aus.

Da war von diesen ganzen Verrücktheiten – so nannte das ihr Vater mitunter – weit und breit nichts zu sehen.

Immerhin, auf der Hinfahrt zur Mittelmeerküste gab es wilde Pferde in der Provance zu bestaunen, wie sie so frei und ungestüm und mächtig ihr Leben lebten. Julia konnte ihnen stundenlang zusehen, also in der Theorie. Manchmal hatte sie bei einer kurzen Rast am Straßenrand wenigstens ein paar Minuten Zeit dazu, während ihr der warme Wind sanft ihre Haare verwirbelte, als ob er sie trösten wollte. Das war letztes Jahr, als ihre Mutter ziemlich krank war, also noch kränker als sonst schon.

Ihr Vater beschloss, weil er sich auch nicht recht zu helfen wusste, dass seiner Frau das mediterrane Klima gut tun würde. Überhaupt konnte auch er gut eine Auszeit gebrauchen, stellte er eines Morgens fest, als er seufzend seine tiefen Augenringe im Spiegel betrachtete.

Er war müde und erschöpft vor Sorge um seine Frau und vor schlechtem Gewissen Krissy gegenüber.

Er hatte kaum mehr Zeit für sie, entweder arbeitete er als angestellter Bauingenieur einer großen Firma, und das war nicht wenig, was es dort zu tun gab oder er pflegte Zuhause Sophie, seine große Liebe. In einer Bäckerei in Hullershausen arbeitete sie damals und es war Liebe auf den ersten Blick.

Man könnte sagen, es war eine der doch eher seltenen Begegnungen, wo sich zwei mal zwei Augen ansahen und sofort begannen überschwänglich zu strahlen. Wie wenn jemand nachts die Eifelturm-Beleuchtung nach einem Stromausfall wieder einschaltet und das gerade noch dunkle Paris in wenigen Sekunden erleuchtet wird.

Sophie glaubte wohl an Bestimmung und Schicksal und auch wenn Krissy´s Vater mit solchen Sachen schon noch skeptisch war, ließ er sich zügig davon überzeugen. Konnte er doch deutlich und nicht von der Hand zu weisend spüren, dass es kein links und kein rechts mehr gab, wo er hinsehen wollte.

Nur zielstrebig geradeaus, dort wo Sophie war und sein Herz zum schmelzen brachte. Er würde alles für sie tun, also wirklich ohne Ausnahme. Jedenfalls wäre ihm bisher keine eingefallen und sie hatten wirklich schon viel miteinander erlebt in all den Ehejahren.

Also überredete er seine Familie zu einem zweiwöchigen Urlaub in Frankreich. Auch wenn sie sich schwächlich fühlte, willigte Julias Mutter schlussendlich ein. Denn ihr Mann war nicht einfach nur ihr Mann, sondern ein echter Seelengefährte. So einen von der Sorte, die man vermutlich nur einmal im Leben trifft. Das hatte sich nie geändert, bis heute nicht. Sie sah ihn nicht mehr so oft an wie früher, aber wenn es ein kleines Leuchten in ihren Augen gab, dann war es genau in diesen Augenblicken.

Sie mieteten ein kleines, aber höchst komfortables Ferienhaus an der Côte d’Azur, das sogar einen eigenen Zugang zu einer kleinen Bucht am Meer hatte. Aus Liebe zu Sophie verzichteten der Vater und Krissy auf größere Ausflüge ins romantische Umland, aber an den sauberen und ansonsten menschenleeren Strand zog es sie beide häufig.

In der naturbelassenen Umgebung konnte man in aller Ruhe wieder zu sich kommen. Wenn man vorher schon nicht mehr so richtig bei sich war, war das eine äußerst praktische Angelegenheit.

Krissy genoss die Zeit am Meer.

Manchmal tauchte sie nach den kleinen, bunten Fischen, die sie dann neugierig umkreisten, manchmal zählte sie auch einfach nur die Möwen am hellblauen Himmel. Oder sie schnitzte etwas aus dem Treibholz, das das Wasser fleißig angeschwemmt hatte.

Ein kleines Schweizer Taschenmesser hatte sie immer bei sich und sie benutzte es voller Stolz, schließlich bekam sie es von ihrem Vater zu ihrem 6. Geburtstag. Er wollte, dass sein Kind wenigstens stabiles Werkzeug in ihren Händen hatte, wenn sie schon nicht von der Schnitzerei abzubringen war.

So entstand auch dieses Mal wieder eine abstrakte Figur und Krissy betrachtete ihr neuestes Werk voller Vergnügen.

Obwohl sie auch ab und an alleine Zeit am Meer verbrachte, hatte sie komischerweise immer das Gefühl, dass sie gar nicht alleine war.

Wie wenn man einen Windhauch spüren kann, obwohl es gänzlich windstill ist. Eigenartig kam ihr das schon vor, schien sie auch noch die Einzige zu sein, die das so wahrnehmen konnte. Trotzdem war sie hier in an der Küste äußerst zufrieden mit sich und ihrer Umgebung.

Nur bei Sophie wollte auch dieser magische Ort nicht so recht Eindruck machen.

Es war fast wie zuhause, im Wohnzimmer der Eltern, wo die Mutter meist den halben Tag in Gedanken versunken und geistig abwesend in ihrem großen, braunen Ohrensessel saß. Im Grunde machten hier die vielen Sandkörner unter ihren Füßen den einzigen Unterschied. Und dass sie aufs offene Meer statt auf die heimische Tapete starrte.

Sie hatte eher selten Kraft zu sprechen und war sehr oft in eine Decke gehüllt, weil es sie so von innen heraus fröstelte.

Selbst bei den hohen Temperaturen, die es draußen gerade hatte, saß sie eingemummelt in ihrem perfekt verarbeiteten Liegestuhl aus Teakholz.

Gesamtes Kapitel 2 lesen

Krissy tat das sehr leid und das war einer der Gründe, warum sie Zuhause versuchte, den ganzen Tag so leise wie es nur irgend ging zu sein.
Sie kam von der Schule und schlich auf Zehenspitzen die Treppen zu ihrem Zimmer im ersten Stock des gepflegten Einfamilienhauses hinauf, um sich auch dort möglichst unauffällig zu verhalten.

Es kam sogar soweit, dass sie schon auf dem Nachhauseweg flaue Gefühle in den Magen bekam, aus Angst was sie wohl heute wieder in den vertrauten vier Wänden erwarten würde. Da gab es schon so manches Mal Überraschungen, aber nicht die von der schönen Art.

Doch sie versuchte, diese Gedanken zu verscheuchen, wie es der Nachbar mit der kleinen Katze Minka tat, wenn sie ihm erneut mit aller Begeisterung eine Maus vor die Haustüre legen wollte. Minka liebte ihn heiß und innig, aber er liebte nunmal keine Mäuse.

Also begann sie, sobald sich die Tür ihres Schulbusses öffnete, so fröhlich es ging, irgendwelche Lieder aus dem Radio nachzupfeifen oder sich Geschichten über den schweigsamen Busfahrer und sein Leben auszudenken, damit die aufsteigenden dunklen Wolken in ihrem Kopf möglichst schnell wieder verschwanden.

Die Reise nach Frankreich war eine von vielen, die der Vater mit seiner Familie unternahm.
Aber auch sie änderte so ziemlich gar nichts an Sophies Verhalten.
Eigentlich wären sie ja zu viert gewesen, aber Kai, Krissy´s kleiner Bruder verliess das Erdgeschehen schon sehr früh.

Er war ein Frühchen und wurde nur knapp ein Jahr alt.

Darüber wollte aber auch niemand so wirklich reden, Sophie am Allerwenigsten. Hier vermuteten auch alle Freunde und Bekannte die Ursache ihres schwachen, körperlichen Zustandes. Alle hatten sich sehr auf Kai gefreut, er war ein Wunschkind, genau wie Krissy.

Es gab damals eine riesige Willkommensparty für ihn mit vielen bunten Ballons, herrlich duftendem selbstgebackenem Kuchen und Tante Hilde´s unvergleichlichem Kartoffelsalat mit Würstchen aus dem Nachbarort.

Krissy trötete jedem Gast ungefragt und auch oft unerwartet eine Luftschlange zur Begrüßung entgegen, nahm die Geschenke ab und rannte damit aufgeregt zum Gabentisch für ihren kleinen Bruder.

Man kann sich vorstellen, dass es ein heilloses Durcheinander war, aber auch ein sehr fröhlicher Tag für viele lachende Menschen mit strahlenden Augen.

Von den meisten Nachbarn wurden sie sowieso als Bilderbuchfamilie gesehen und als Vorbild für so manch andere Ehe.
Bis auf die, die darauf neidisch waren, aber die gibt es ja überall, da brauchte man sich nicht so viele Gedanken machen.

Sieben Jahre war sie älter und kaum dass es bekannt wurde, dass sie einen Bruder bekommt, hielt sie jeden Abend vor dem Schlafengehen ihr Ohr fest an Sophies Bauch.
„Wie geht es dir da drin, du kleiner Pups?“ fragte sie ihn liebevoll und war sich auch sehr sicher, dass sie Antworten von ihm hören konnte.

Also so innerlich, natürlich nicht laut, das geht ja schließlich rein biologisch noch nicht.
Sophie lächelte dann immer und streichelte Krissy sanft über den Kopf.
Lange hatten sie darauf hin gefiebert, denn es erwies sich als gar nicht so einfach, diese ganze Angelegenheit mit der zweiten Schwangerschaft.

Und gerade dann, als sie die Hoffnung schon fast aufgegeben hatten, war es soweit. So glücklich war sie, mit ihren beiden Kindern. Bis eben zu diesem einen Tag, von dem alle so tun, als hätte es ihn nie gegeben.

Tante Hilde war eine Frau, die in so fast jeder Situation einen kühlen Kopf bewahrte. Sie unterstützte Krissy´s Vater so gut es ging, da war es auch praktisch, dass sie nur zwei Häuser weiter wohnte.

Immer dann, wenn Krissy die traurige Stimmung nicht mehr aushielt, sprang sie aus dem Elternhaus heraus, mit Vollgas am Nachbarn vorbei und platzte nicht selten nach Luft ringend in Hildes Küche hinein.

Da war es von großem Vorteil, dass ihre Haustüre tagsüber so gut wie immer offen stand, außer im Winter, aber dann steckte von außen ein Schlüssel.
An diesen Tagen ging es einfach nicht, sie konnte sich mit nichts ablenken.
Dann verknoteten sich ihre Gedanken wie ein altes Schiffstau und sie wusste, nur Hilde würde die richtigen Worte finden.

Wobei, manchmal saßen sie aber auch einfach nur schweigend nebeneinander, während Hilde irgendwelche Handarbeiten machte.
Krissy hatte daran keinen großen Spass, aber sie sah gerne dabei zu, wie etwas Neues entstand und ihre Tante hatte ein ziemliches Geschick und obendrein auch noch ein gutes Gespür für Schönheit.

„Hast du Hunger?“ fragte Hilde, während sie gerade in aller Seelenruhe den Tisch deckte. Krissy schüttelte den Kopf und ging zielstrebig auf den Schaukelstuhl im Wohnzimmer zu. Sie setzte sich auf die geblümte, weiche Auflage und begann hin und her zu wippen.

Sie wollte gar nicht so wirklich reden und die erste Träne kündigte sich auch schon an.

Hier bei ihrer Tante konnte sie durchatmen und sich sortieren und immer wenn sie so unbedingt stark sein wollte, war dies der Ort, an dem ihre Gefühle die Chance nutzten. Dann platzte an manchen Tagen alles einfach heraus, wie bei einem Staudamm, der nicht mehr dicht halten konnte. Und mit gerade 12 war man ja sowieso in einem recht speziellen Alter, wo so alle möglichen Einflüsse und Angelegenheiten auf einen einprasselten.

Für Außenstehende muss Hilde manchmal etwas abwesend und unbeteiligt gewirkt haben, aber genau das Gegenteil war der Fall.

Sie arbeitete innerlich ununterbrochen an Lösungen für alle Menschen, die ihr sehr nahe standen. Nur zeigte sie es auf den ersten Blick nicht gleich und so war es auch dieses Mal.

Sie warf einen kurzen Blick auf ihre Nichte, hörte mit ihrer Küchenarbeit auf und verschwand wortlos in einem Nebenzimmer. Einige Minuten später kam sie zurück und sah Krissy mitfühlend an. Sie kniete sich neben den Schaukelstuhl und hielt ihr ihre rechte, verschlossene Hand hin. Krissy wusste, dass bei der Tante mit so allem zu rechnen war. Aber sie ahnte nicht, was jetzt folgen würde.

„Sieh nur“, sagte Tante Hilde und öffnete dabei langsam ihre Faust.

„Es wird dich ab heute daran erinnern, dass du ein Herz aus Gold in dir trägst, egal wie dunkel es um dich herum ist.
Was auch immer dir noch begegnen wird, du hast alles bereits in dir. Manchmal denken wir nicht daran, vor allem dann nicht, wenn unser Schmerz am Größten ist. Aber gerade dann brauchen wir Zeichen, Wunder und Erinnerungen“ sagte sie und es wurde eine goldene Kette mit einem goldenen Herz-Anhänger sichtbar.

In der Mitte des Herzens funkelte ein hochgradiger und lupenreiner Diamant in den schönsten Farben.

„Meine geliebte Großmutter, also deine Urgroßmutter, hat sie mir vor unendlich vielen Jahren anvertraut und ich gebe sie an dich weiter, weil du ein hochsensibles Kind bist und ich weiß, dass du gut darauf acht geben wirst.“
Sie drückte Krissy das kostbare Geschmeide langsam in die linke Hand und verschloss sie wieder sanft mit einem geheimnisvollen Gesichtsausdruck.

„Und“, sagte Tante Hilde, „an den Tagen, wo du besonders glücklich bist, verstärkt sie dein Glück. Dann strahlt dein Gold so stark in die Welt hinein, dass du andere Menschen damit ansteckst.
Wie bei einem angezündeten Streichholz, das du in eine ganze Streichholzschachtel hinein hältst.

Das ist vielleicht mit bloßem Auge nicht sichtbar und nicht jeder wird wissen, dass du etwas damit zu tun hast. Aber das spielt auch keine Rolle.
Wichtig ist ja, dass sich jetzt das Gute, Helle und Schöne überall verbreitet und wie eine große Welle nicht mehr aufzuhalten ist. Und du bist Teil dieser Welle, ein ausgesprochen wichtiger sogar, das musst du einfach wissen.

Und außerdem…ach du findest es schon heraus.“

Sie atmete fast unhörbar tief durch, stand wieder auf und zog ihre Küchenschürze zurecht.
„Es wartet dein Lieblingsessen auf dich, bist du sicher, dass du keinen Hunger hast?“ fragte sie Krissy.
Diese war irgendwie sonderlich berührt, spürte aber auch, wie sich eine innere Ruhe ausbreitete und sie nickte.

Das erste Lächeln an diesem Tag begann sich in ihrem Gesicht zu entfalten, schließlich konnte sie sich das nicht entgehen lassen.
Sie hing sich die wertvolle Kette um den Hals, steckte das Herz aber unter ihren Pullover.
Es war ihr lieber, nicht so viel Aufsehen zu erregen und dann womöglich noch komische Fragen beantworten zu müssen.

Pappsatt und inzwischen auch ganz schön müde schlenderte Krissy nach Hause zurück. Sie hatte es nicht wirklich eilig, denn der Geschäftswagen ihres Vaters stand noch nicht von der Tür.
An der kleinen Mauer des gegenüberliegenden Nachbargrundstückes setzte sie sich und ließ ihren Gedanken freien Lauf.

Es waren keine zwei Minuten vergangen, da sauste Minka um die Ecke und sprang leichtfüßig zu ihr hoch.

Man könnte fast meinen, die kleine Katze würde irgendwo versteckt auf der Lauer liegen, um vorbeilaufende Passanten aus dem Nichts heraus voller Verzückung zu begrüßen.

Minka gehörte zu den Exemplaren ihrer Gattung, die schon schnurrten, wenn man sie nur ansah.
Sie legte sich dicht neben Krissy und begann sich ausgiebig zu putzen. Dabei brummte ihr ganzer Körper wie ein kleiner Rasenmäher, den man durch zu hohes Gras schieben wollte.

Krissy wuchs in einem ziemlich behüteten Elternhaus auf. Also fast, denn sie sehnte sich nach mehr Zeit mit ihrem Vater und dem glücklichen Lachen ihrer Mutter. So wie damals, als Kai gerade frisch auf die Welt gekommen war.

Doch dann kam alles anders. Ohne den kleinen Bruder war es leer, er fehlte ihr so sehr. Sie zweifelte, ob das Leben überhaupt einen Sinn ergab und ob sie jemals die große Liebe finden würde, so wie sie ihr von ihren Eltern vorgelebt wurde.

Es kam ihr zudem so vor, als müsste sie besser jederzeit damit rechnen, von allem was sie innig liebte, wieder verlassen zu werden. Dabei hätte sie so gerne echte Freunde an ihrer Seite, die bleiben. Also genau das Gegenteil von Jan.

Zum Glück gibt es noch Tante Hilde, den ruhenden Pol der Familie. Und diesen ominösen Engel mit der Umhängetasche, der im Traum immer wieder mit ihr spricht. Wenn er doch nur endlich deutlicher werden würde!

Eine Geschichte über Seelengefährten, Verlustangst, Einsamkeit, Trauer, Schutzengel, die Verrücktheiten des Lebens. Über unerwartete Überraschungen & die tiefe Sehnsucht des Menschen, einfach nur geliebt zu werden und zu lieben.

Und über ein ungewöhnliches goldenes Herz, das ihr Leben verändern sollte…

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© Rebekka Gutmayer 2020

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Als die Seele den roten Faden verlor

Als die Seele den roten Faden verlor

Frisch vom Himmelszelt entlassen, segelte die Seele in das Menschenleben hinein.

Bei ihrer Ankunft auf der Erde atmete sie noch einmal tief durch und war ziemlich beruhigt, als sie das Knäuel mit rotem Garn in ihrer Seelenhosentasche fand. „Gott sei dank!“ dachte sie sich, „damit bin ich sicher und kann mich jederzeit erinnern, was ich hier denn so alles erleben will. Also für den Fall, dass ich es vergesse, man weiß ja nie.“

Die Jahre vergingen und die Seele freute sich zu Beginn auch noch so richtig über ihre Zeit mit ihrem Menschen. Anfangs konnte sie sich viel ausruhen und es gab gar nicht so viel zu berichten.

Doch dann ging es los, ein Seelenunwetter zog auf. Der Mensch hatte sich unglücklich verliebt und so sehr ihm die Seele auch aufmunternd zuflüsterte „es ist doch nur eine Erfahrung, hol dir den roten Faden aus ihr und dann gehen wir weiter!“, es brachte alles nichts.

Der Mensch war tief verletzt und verstand den Sinn einfach nicht.

Die Seele versuchte es immer wieder. Aber irgendwann war sie selbst so traurig, dass es um sie herum ganz dunkel wurde. Sie mochte kein Sonnenlicht mehr und ging lieber in düstere Nachtclubs, wo sie nicht erkannt wurde. Der Barkeeper wusste inzwischen schon Bescheid, sobald sie den Raum betrat. „Whisky on ice, wie immer?“ fragte er.

Die Seele gab nur ein Brummen von sich und verzog sich kurz darauf in eine der hintersten Ecken, das schummerige Licht kam ihr gerade recht. „Hier ist es so dunkel, wie ich mich fühle“, dachte sie. „Dieser Schmerz ist kaum erträglich und auch der Whisky kann ihn nur mühsam betäuben. Ich verstehe die Welt nicht mehr, was soll ich denn hier?“

Nachdem ein Kellner mehrmals wortlos nachgeschenkt hatte und einige Stunden vergangen waren, fasste sie sich zum bezahlen in die Seelenhosentasche und zog dabei das rote Knäuel hervor. „An irgendetwas soll es mich erinnern. Weiß der Geier, ich komme einfach nicht darauf.“

Sie hielt es dem Barkeeper kurz vor verlassen der Bar vor die Nase: „Hast du eine Idee, für was das gut sein soll?“ und blies den letzten Zug ihres Zigarillos an ihm vorbei. Dieser überlegte einen Augenblick, sah sich aber überfordert und schüttelte dann vehement den Kopf, um sich direkt wieder dem Polieren seiner Gläser zu widmen.

„Heute ist sie wieder schräg drauf“, murmelte er in seinen nicht vorhandenen Bart.

Die Seele ging hinaus in die Nacht, es leuchteten sogar ein paar Sterne am Himmel. Aber die Seele konnte sie nicht sehen. Sie sah überhaupt gar nichts mehr. Wenn es nicht ein paar aufmerksame Passanten gegeben hätte, wäre sie schon gleich auf den ersten Metern über einen Bordstein gefallen.

„So kann das nicht weitergehen. Ich bin so unendlich traurig, mein Herz ist so schwer. Es zieht mich hin zu dieser Seelenliebe und doch darf ich nicht bei ihr sein. Das gibt doch keinen Sinn, wer hat sich sowas ausgedacht? Und dieses rote Ding hier, lächerlich. Warum trage ich es überhaupt noch mit mir herum?“

Die Seele wurde wütend und warf das rote Garn in die nächstbeste Ecke. „Jetzt bin ich wenigstens dieses wertlose Teil los“, dachte sie und versuchte, einigermaßen gerade zu gehen.

„Die Dunkelheit kann dir zeigen, wie groß dein Licht tatsächlich ist!“ tönte plötzlich eine unbekannte Stimme aus dem Nichts. Die Seele erschrak. „Wer bist du?“ fragte sie unsicher und drehte sich in alle Richtungen um, doch sie war alleine auf der Straße.

„Du kannst dich in der Dunkelheit verlieren. Du kannst dich in ihr aber auch wiederfinden.“ bekam die Seele nun zu hören.

„Der Schmerz vergeht. Aber du musst ihn irgendwann loslassen. Du warst bereit, tief zu fallen um der anderen Seele einen großen Gefallen zu tun! Es war deine eigene Wahl. Du wolltest dich klein und mickrig und verloren fühlen.

Aber schon im zweiten Atemzug sprachst du davon, dass du dieses Leid auch erfahren möchtest, um dich auf eine besondere Begegnung vorzubereiten.

Eine Begegnung, die dich und die Welt verändern wird. Eine Begegnung, die dich daran erinnert, dass du ganz und groß und vollkommen und heil und reine Liebe bist. Und weil du nun weißt, was du nicht mehr möchtest, kannst du sie ganz leicht erkennen.“

„Wer zur Hölle bist du?“ fragte die Seele jetzt etwas lauter. Sie war ganz aufgeregt und von dem vielen Whisky war ihr auch noch ziemlich schwindelig.

„Ich bin dein Schutzengel!“ sprach es in die Nacht hinein. „Und hier ist wieder dein roter Faden.“ Das Knäuel, das kurz zuvor sehr unsanft beiseite geworfen wurde, lag nun wieder vor der Seele, fein säuberlich aufgereiht und wie von Zauberhand dorthin bewegt.

„Was soll ich damit, beim besten Willen, ich habe keine Ahnung?“ sagte die Seele.

Ich bin dein Plan B. Ich tauche immer dann auf, wenn du nicht mehr weißt, was du auf der Erde erleben wolltest. Deswegen bringe ich dir Plan A zurück. Dieser rote Faden zeigt dir durch intensive starke Gefühle, dass du entweder in einer Sackgasse stehst, aus der du schleunigst heraus solltest, wenn es zu lange anhält.

Oder dass du auf dem absolut richtigen Weg bist und es angezeigt ist, der Freude und den Glücksgefühlen zu folgen.“ sagte der Schutzengel.

„Aha.“ sagte die Seele. „Und was mache ich jetzt? Wir könnten zusammen um die Häuser ziehen?“

Der Schutzengel der Seele lachte. „Ich bin im Dienst, vielleicht ist es dir schon aufgefallen. Aber du, du könntest beginnen deine Augen zu öffnen. Für die Schönheit des Lebens, für deine Einzigartigkeit. Und für die Liebe, der du begegnen wolltest. Oder hast du eine bessere Idee?“

„Nein. Du hast recht und ich lasse die dunkle Nacht der Seele jetzt hinter mir“, sagte die Seele und schüttelte sich, um wieder klar denken zu können. „Ohne dich wäre es ausweglos gewesen.

Und jetzt passe ich besser auf den roten Faden des Lebens auf. Danke, dass du mich gefunden hast!“ sprach sie und hoffte auf ein kleines Zeichen ihres Schutzengels. So gerne würde sie ihn sehen!

„Ich bin immer bei dir. Doch ich muss dich deine Erfahrungen machen lassen, ich kann nicht eingreifen, nur weil mir danach ist. Aber ich habe drei Joker bekommen, die darf ich einsetzen, wenn es keine Hoffnung mehr gibt.

Zwei habe ich noch und deswegen möchte ich dich bitten, jetzt etwas sorgsamer mit deinem Leben und seinen Umständen zu sein, auch wenn es neben mir hin und wieder weitere Seelen gibt, die dir ihre Hand reichen werden.

Die Chancen ergreifen musst du allerdings schon selbst!“.

Und was deinen Wunsch betrifft“, sagte der Schutzengel, „sie ist für dich!“

Instinktiv hob die Seele ihren Kopf und sah eine Sternschnuppe ganz dicht an sich vorbeiziehen.

Jetzt war ihr klar, dass sie nie verloren und immer in guten Händen war. Auch wenn es zu manchen Zeiten so gar nicht den Eindruck machte.

„Ich werde meine Liebe finden und ich werde die Welt verändern“ sprach sie ganz bedächtig und schickte diese Wahrheit mit der Sternschnuppe zusammen ins große, weite Universum. Dabei fasste sie sich nochmals zur Sicherheit an ihre Seelenhosentasche.

Es wurde so hell um die Seele, dass der dazugehörige Mensch am Morgen darauf die Augen öffnete und spürte, dass dieser Tag ein ganz anderer werden würde…

~Rebekka Gutmayer~

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